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Ausschnit des Titelbildes der Ausgabe rheinform 01/2024, zeigt einen Ausschnitt des Titelblattes.

LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte

Bildbeschreibung: Die Farbfotografie zeigt die Roten Funken beim Wibbelen auf der Bühne. Köln, 13.01.2004. Die Aufnahme entstand in Zusammenhang mit der Volkskundlichen Filmdokumentation Alltagskultur im Rheinland: Rote Funken (Kölsche Funke rut-wieß vun 1823 e.V.) über das älteste Kölner Traditionskorps. Die DVD trägt den Titel "Die Frohsinnsverbreiter - Kölsche Funke rut-wieß vun 1823 e.V.", Köln 2004/2005.
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Bild 1: Mitglieder des Karnevalscorps „Kölsche Funken rut-wies von 1823“ beim Wibbeln. (© LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte; Fotograf: Josef Mangold)

Karneval und Kulturerbe

Tradition und regionale Identität in einem rheinischen Brauchkomplex

Dr. Dagmar Hänel

2014 wurde der rheinische Karneval in die nationale deutsche Liste des immateriellen kulturellen Erbes aufgenommen (Bild 1).(1) Diese Auszeichnung ist wenig überraschend, denn der Brauchkomplex Karneval entspricht deutlich den Kriterien für das Immaterielle Kulturerbe: Als zentrales Fest im Jahreslauf ist Karneval im Rheinland ein wichtiger gesellschaftlicher Brauch mit ritualisierten Elementen, in denen lokale und regionale Identität ausgedrückt wird. Karneval ist ein lebendiger Teil der Alltagskultur, der in vielfältigen Formen gelebt und immer wieder neuen gesellschaftlichen Anforderungen angepasst wird. Und auch wenn Karneval an sich weltweit gefeiert wird, ist der rheinische Karneval durchaus etwas Besonderes.

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Bildbschreibung: Zu sehen ist eine Abbildung des Gemäldes "Kampf des Karneval gegen die Fasten" von Pieter Brueghel dem Älteren. Das Gemäle zeigt einen Dorfplatz mit vielen Menschen, darunter auch die Allegorie des Fastens und des Karnevals. Während der Karneval auf einem Fass reitet und gebratene Hühner verschlingt, wird die Fasten in einer Kutte über den Dorfplatz gezogen. Das Bild ist sehr wuselig, die Menschen gehen alle verschiedenen Tätigkeiten nach, die man als lasterhaft bezeichnen kann. In der rechten Bildecke ist ein Kirchenportal zu sehen, hier heraus kommt eine Prozession, diese bildet den Gegenpol zu den feiernden und lasterhaften Figuren im Bild.
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Bild 2: Pieter Brueghel der Ältere, Der Kampf zwischen Karneval und Fasten, Öl/Holz, 1559, 118 cm × 164,5 cm, Kunsthistorisches Museum, Wien. (© Gemeinfrei)

Zur Geschichte des Karnevals

Karneval gehört in den Kontext des christlichen Osterfestkreises. Deutlich wird dieser Zusammenhang in der Bezeichnung des Festes. Vor allem der ältere Begriff „Fastnacht“ und seine regionalen Varianten wie das rheinische „Fastelovend“ weisen auf die Nacht oder den Abend vor Beginn der österlichen Fastenzeit hin. Hier wurde noch mal so richtig gefeiert, gegessen und getrunken – auch aus ganz pragmatischen Gründen. Vor allem die verderblichen tierischen Fette und Fleisch sollten aufgebraucht werden, ebenso die vielen Eier. Das erklärt Krapfen, Pfannkuchen und Mutzemandeln. Die verschiedenen Festelemente sind in der Abbildung erkennbar: In dem bekannten Gemälde des niederländischen Malers Pieter Brueghel ist das ländliche Karnevalstreiben um 1500 zu sehen (Bild 2). Einerseits ist das Gemälde durchaus ein Abbild von Alltagsrealität – zum Beispiel in der Darstellung von Nahrungsmitteln, der Almosenempfänger vor der Kirche, dem Aussehen der Häuser sowie der Kleidung. Es ist aber andererseits zugleich eine allegorische Darstellung der Grundidee des Karnevals: Dieser wird personifiziert als wohlgenährter Mann auf einem Weinfass, mit gebratenen Hühnchen am Spieß, der von seinem närrisch gekleideten Gefolge begleitet wird. Der Karneval trifft, ähnlich wie bei einem Turnier, auf die dürre, graue Gestalt der Fasten, die für die Zukunft aller Karnevalsfeiernden steht: Fasten, Beten, Askese und Verzicht bis Ostern – immerhin fast sieben Wochen lang. Die Gegensätze der beiden Figuren werden in zahlreichen Symbolen verbildlicht, die von den dargestellten Speisen bis zu den benachbarten Gebäuden reichen. In dieser Allegorie werden komplexe theologische Positionen wie die Idee des Gottesstaates nach Augustinus vermittelt. Das kommende Reich Gottes wird dem vergehenden irdischen Reich entgegengestellt, dem Tod die Auferstehung, dem Karneval das Osterfest. In dieser spätmittelalterlichen Vorstellung steht die Figur des Narren für den Sünder, der Gott nicht erkennt.(2) Die sogenannte „Verkehrte Welt“ verweist auf die göttliche Ordnung der Welt.

Die Festformen des Karnevals waren vielfältig: öffentliche Feste auf Dorfplätzen und Straßen, in Gasthäusern und Schenken, Heischegänge sowie Maskenbälle, die vor allem in adeligen und bürgerlichen Kreisen stattfanden. Im 15. und 16. Jahrhundert waren vielerorts die Handwerkszünfte Träger der Fastnachtsfeiern. Mit der Reformation setzt zunehmend Kritik und Verbot ein. Theologisch wird von den Reformatoren der Sinn der Fastenzeit in Frage gestellt.(3) Vor allem im städtischen Raum ist das ausgelassene und unkontrollierte Feiern der Bevölkerung immer wieder Anlass für Verbote. So verbot der Kölner Stadtrat wiederholt den „Mummenschanz“, unter anderem 1487, 1609 und 1657; 1779 wegen drohender Kriegsgefahr.(4) Die französische Besatzung war dem Straßenkarneval gegenüber ebenfalls kritisch eingestellt: Unter den Masken und Mänteln konnten sich nicht nur politische Agitatoren und Kriminelle, sondern auch Waffen verbergen. Der im Übermaß konsumierte Alkohol sorgte für soziale und juristische Grenzüberschreitungen – all das war für die Franzosen höchst suspekt. So wurde 1795 der Karneval komplett verboten.

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Bildbeschreibung: Zu sehen iste ein Zeichnung eines Karnevalisten mit einer Pickelhaube. Diese Haube ist eine militärische Kopfbedeckung. Der Karnevalist trägt viele Orden um den Hals und blickt nach rechts.
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Bild 3: Pickelhaube als Narrenkappe (© LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte; Scan: Christina Frohn)

Wie der Karneval im Rheinland neu erfunden wurde

Ab 1804 ändert sich die französische Haltung gegenüber dem Karneval. Mit dem Frieden von Lunéville war die französische Herrschaft über das gesamte linksrheinische Gebiet legitimiert, Köln war jetzt eine französische Stadt. Nun versuchte man, den Karneval „mit Hilfe von detaillierten Verordnungen zu steuern.“(5) Wer sich verkleiden wollte, musste eine Maskenkarte kaufen, der Erlös wurde für die Armenspeisung verwendet. Das brachte einerseits Finanzmittel in die städtischen Kassen, andererseits verringerte sich die Zahl der Maskierten aufgrund des hohen Preises. Weiter verboten waren das Tragen von Waffen und Kostümen, die die öffentliche Ordnung stören konnten. Die Bürgerinnen und Bürger der Kölner Oberschicht begrüßten diese Verordnungen und lobten den Anstand des „neuen Karneval“. Denn nun waren die Gruppen der Handwerksgesellen und Tagelöhner mit schmutzigen Masken und derben Sprüchen wohl zum großen Teil von den Straßen verschwunden.

1814 fallen die Rheinlande an Preußen, für den Karneval ändert sich nicht viel. Auch die preußischen Beamten sind dem Karneval gegenüber sehr skeptisch eingestellt, die Verordnungen aus der Franzosenzeit werden beibehalten. Der Kölner Karneval existiert zwar, hatte aber seine Breitenwirkung verloren, gerade „der Straßenkarneval war im großen und ganzen zu einem recht unspektakulären Ereignis verkommen.“(6) 1823 findet der erste Rosenmontagszug als das zentrale Ereignis des „neuen“ rheinischen Karnevals statt. Wie konnte es dazu kommen?

Es sind bürgerliche Kreise, die sich zusammenfinden, um eine „alte, vaterländische Tradition“ zu erneuern. Geprägt vom Geist der Romantik förderten und pflegten Bürgerinnen und Bürger nun heimische Traditionen wie Bräuche und Mundart. Das gemeinsame Interesse für ein „altes deutsches Fest“ führte 1822 zur Gründung des „Festordnenden Komitees“. Dieses begann, bei der preußischen Stadtverwaltung für eine Wiedereinführung des Karnevals zu werben. Diese erlaubte im Januar 1823 den ersten Maskenzug. In nur zwei Wochen Vorbereitungszeit organisierten die Beteiligten den ersten Rosenmontagszug, der ein voller Erfolg wurde. Schon 1824 war der Zug deutlich größer und gewann immer mehr an Zulauf. Hiermit war ein Grundelement des Kölner Karnevals etabliert, die weiteren Grundelemente, die Karnevalssitzungen und der große Maskenball im Gürzenich, kamen schnell hinzu und waren ebenso erfolgreich und öffentlichkeitswirksam.

Der Grund für den Erfolg des Rosenmontagszuges ist in seinem Potenzial in einer spezifischen historischen Situation zu sehen. Ein Ausgangspunkt für die romantische Hinwendung zu Tradition und Geschichte war der zeitgenössische Diskurs um die eigene Nation; die eigene Nationalgeschichte hatte dabei eine hohe integrative Funktion. Im Rheinland, gerade in Köln,stößt dieser Aspekt auf ein grundsätzliches Gefühl des Verlustes: Verloren ist eine glorreiche Vergangenheit als eigenständige freie Reichsstadt. Das Konzept der Nation hat hier eine attraktive Bindungsfähigkeit.

Diese Sehnsucht wird im Karnevalszug durch bestimmte Figuren und Formen aufgegriffen: Der Reichsbannerträger, der auf den Status der ehemaligen Freien Reichsstatt anspielt, führt den Zug an, gefeiert wird der „Held Karneval“, die Roten Funken repräsentieren die alten Stadtsoldaten. Auch Elemente aus dem kirchlichen Prozessionswesen sind vorhanden: Sie spielen auf die als negativ empfundenen Konsequenzen der Säkularisierung durch die Franzosen, aber auch auf den konfessionellen Unterschied der katholischen Kölner und der protestantischen Preußen an. Und Colonia, die Personifikation der Stadt Köln, die im frühen 20. Jahrhundert zur festen Gestalt im Kölner Dreigestirn wird, feiert das Eigene, den Ruhm der eigenen Stadt.

Gleichzeitig – und das wird in den Rosenmontagszügen der folgenden Jahre immer deutlicher – bietet der Karneval der politischen Kritik ein Ausdrucksmittel. Die Forderung gerade bürgerlicher Kreise nach politischer Mitbestimmung und Pressefreiheit lässt sich in Form von Satire und Witz im Karneval geradezu ideal unterbringen. Die Figur des Narren ist mit dieser Funktion der politischen Satire aufgeladen, diese Rolle wurde von den bürgerlichen Karnevalsvereinen gerne aufgenommen. Und so finden sich in Liedern und Gedichten, in Karnevalszeitungen aber auch in der Gestaltung von Kostümen und Zugwagen immer wieder kritische Anspielungen auf politische Verhältnisse.

Der bürgerliche Karneval versteht sich als politisch progressiv, national und republikanisch. Die Vereine sind ständeübergreifend organisiert, ihre Mitglieder sind „Brüder“, ohne Ansehen von sozialem Status und Geburt. Ebenso das zentrale Fest, der Rosenmontagszug, der ein bürgerliches Ideal von Gleichheit und Gemeinschaft repräsentiert, obwohl es in seiner Form den ständisch geprägten Triumphzug aufgreift.

Karikiert und lächerlich gemacht wurde vor allem die hierarchische Struktur des preußischen Staates und seine zentrale Institution, das Militär. Die Uniformen der Karnevalscorps karikieren die preußische Soldatentracht: Nachdem 1842 die preußische Armee die so genannte Pickelhaube einführte, zeigte sich in der Session 1844 die Große Kölner Karnevalsgesellschaft in einer entsprechenden närrischen Adaption (Bild 3). Den Aspekt der politischen Satire tradiert der Karneval bis heute.

Interessant ist, wie sich der rheinische Karneval während des Nationalsozialismus entwickelt: Zumindest in der ersten Hälfte der 1930er Jahre finden sich deutliche Anspielungen und Kritik am NS-Regime, erst nachdem Verhaftungen erfolgen und die Karnevalsvereine erfolgreich gleichgeschaltet sind, hört diese Form des Widerstandes auf.(7)

Wie wichtig den Kölnern der Karneval war, zeigt sich in seiner schnellen Wiedereinführung nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Köln ist weitgehend zerstört, aber 1949 findet der Rosenmontagszug statt – unter dem Motto „Mer sin widder do un dunn wat mer künne“ sowie unter Absingen des Karnevalsschlagers „Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien.“(8) Neben dem regionalen Festcharakter, dem ausgelassenen Ausstieg aus dem Alltag und der politischen Kritik hat der rheinische Karneval auch eine wirtschaftliche Funktion: In den aktuellen Karnevalstagen besuchen etwa 1,5 Millionen Menschen Köln zum Feiern, das Gast- und Hotelgewerbe profitiert ebenso wie die Taxi-Unternehmen und natürlich die Stadt Köln selbst über zusätzliche Gewerbesteuereinnahmen.(9)

Bildbeschreibung: Die schwarz-weiß-Fotografie zeigt eine Gruppe von Frauen, die sogenannten Beueler Waschweiber, aus den 1950er Jahren. Es handelt sich dabei um eine Karnevalistische Gruppe. Eine anführende Frau trägt eine Schürze und erhebt die Arme. Ihr folgen weitere Frauen, die jedoch kaum verkleidet sind.
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Bild 4: Beueler Waschweiber um 1955 (© LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte)

Ritualisierte Formen prägen das Fest

Karneval ist ein Schwellenfest, seinen Sinn erhält es durch den Bezug zum Osterfest. Aus dieser Funktion erwächst auch seine Struktur als Übergangsritual mit einer ausgeprägten sogenannten liminalen Phase. Übergangsrituale haben einen festen Anfang und Ende, dazwischen liegt die liminale Phase, in der die Feiernden außerhalb der alltäglichen Ordnungen stehen. Symbolisiert wird diese besondere Phase durch bestimmte Zeichen wie das Verkleiden, also das Wechseln der sozialen Rolle, das Feiern als Gegensatz zum alltäglichen Arbeitsleben, die karnevalistischen Elitenrollen wie Prinzenpaar, Dreigestirn, oder sonstige Tollitäten, Karnevalscorps und -vereine. Typische karnevaleske Verhaltensmuster karikieren traditionelle soziale Formen: Beispielsweise symbolisiert der traditionelle Sturm auf die Rathäuser eine neue Herrschaft auf Zeit.

Die Karnevalssession beginnt seit Mitte des 19. Jahrhunderts am 11. November. Das Datum wurde zum einen symbolisch als „Narrenzahl“ aufgeladen: Die Elf steht in christlicher Zahlensymbolik als Zahl des Narren (oder auch des Teufels) gegen die 12, die als Zahl der Vollständigkeit und der Ordnung der Schöpfung gilt. Zudem lässt sich „ELF“ als Anagramm für die Parole der französischen Revolution lesen: „egalité, liberté, fraternité“ – also als eine Art geheime Botschaft der freiheitlich orientierten Republikaner im Preußen des 19. Jahrhunderts. Der 11. November ist aber auch der Tag des Heiligen Martin, der bis heute im Rheinland von großer Bedeutung ist. Am Martinstag begann traditionell das Adventsfasten. Heute weiß kaum noch jemand, dass vor dem Weihnachtsfest eine sechswöchige Fastenzeit lag. Und genau wie vor der vorösterlichen Fastenzeit wurden vor der Advents-Fastnacht die verderblichen Vorräte aufgebraucht, wurde gefeiert, getrunken und getanzt. Der Karnevalsauftakt ist sozusagen ein Überbleibsel des alten Adventsfastens. Dazu passt auch, dass ab dem 12. November bis zum Dreikönigstag der Karneval pausiert – der Rest des Trauermonats November, der Advent und die Weihnachtszeit bleiben karnevalsfrei. Ab dem 6. Januar beginnen die Narren mit Sitzungen, dem Erstürmen ihrer Hofburgen und den Einführungen ihrer Tollitäten. Aber erst in der Woche vor Rosenmontag beginnt die Hauptphase des Karnevals mit der Eröffnung des Straßenkarnevals an Weiberfastnacht (anderswo auch „Schmutziger“ oder „fetter“ Donnerstag genannt). Im Rheinland übernehmen hier die Frauen das Ruder: sozusagen verkehrte Welt „at it‘s best“. Einer der Höhepunkte ist die Erstürmung des Beueler Rathauses durch die Wäscherprinzessin und ihr Gefolge (Bild 4).

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Bildbschreibung: Die Farbfotografie zeigt die Außenansicht einer Kneipe in den 1980er Jahren. Es handelt sich um die Ansicht des Gasthof Schmidt in der Eifel. Der Schriftzug der Gaststätte prangt in gelber Schrift über dem Eingang. Vor der Kneipe ist eine Gruppe Karnevalisten zu sehen. Diese sind verkleidet und tragen eine liegende Strohfigur auf einer Bahre aus der Kneipe heraus. Dabei handelt es sich um die Figur des Nubbels, der jedes Jahr am Abend vor Aschermittwoch zu Grabe getragen wird.
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Bild 5: Karnevalisten tragen den Nubbel aus der Kneipe hinaus (Eifel, um 1980) (© LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte; Fotograf: Karl Guthausen)

Am Karnevalssamstag und -sonntag finden zahlreiche Umzüge statt: Vor allem in kleineren Gemeinden rund um die Karnevalshochburgen Köln, Bonn und Düsseldorf ziehen die Närrinnen und Narren nicht am Rosenmontag, denn am Montag geht es nach Köln oder Düsseldorf zu den zentralen Rosenmontagszügen. Gleiches gilt für die Züge der einzelnen Stadtviertel (Veedelszöch). Die großen Rosenmontagszüge werden live im Fernsehen übertragen, besonders die zu aktuellen politischen Themen gestalteten Wagen sind von großem Interesse für die Öffentlichkeit.

Mit dem „Veilchendienstag“ beginnt das Ende des Karnevals: Die Karnevalsprinzen bekommen öffentlich die „Federn gerupft“: Aus den Prinzenmützen werden die langen Schmuckfedern als Symbol der Regentschaft herausgezogen. An vielen Orten wird der „Nubbel verbrannt oder beerdigt“. Der Nubbel ist eine den Karneval symbolisierende Puppe, die während der Karnevalszeit an Kneipentüren hängt. Sie wird in einem eine Trauerfeier imitierenden Ritual verbrannt, begraben oder ertränkt (Bild 5).

„Am Aschermittwoch ist alles vorbei“, so ein beliebtes Karnevalslied. Zu diesem ersten Tag der Fastenzeit gehört das Aschekreuz, das während des Gottesdienstes auf die Stirn der Gläubigen gezeichnet wird. Viele Karnevalsgesellschaften pflegen das Fischessen am Aschermittwoch, das ebenfalls als Symbol des Beginns der Fastenzeit gilt, auch wenn hier neben rheinischen Fischspezialitäten auch Kölsch, Pils oder Wein konsumiert wird.

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Kulturelles Erbe und regionale Identität

Karneval gehört zum Rheinland, der rheinische Karneval ist in Köln im frühen 19. Jahrhundert entstanden und hat sich in enormer Geschwindigkeit in der Region und darüber hinaus ausgebreitet. Bis heute ist der Karneval tief im Alltagsleben der rheinischen Bevölkerung verankert, das Fest, die Vereine und Akteure sind auch außerhalb der Session eng mit dem Alltag der Menschen verzahnt. Für den Karneval zählt besonders seine soziale Beziehung zu den Menschen in der Region: Zahlreiche Vereine pflegen die Traditionen und tragen als Akteure zur Lebendigkeit und Aktualisierung des Brauchkomplexes bei. Ganz selbstverständlich geht während der Karnevalstage „nix außer Karneval“: Behörden und Geschäfte haben geschlossen, Kollegen, Schulklassen, Freundeskreise und Nachbarschaften treffen sich „am Zoch“ als aktive Zuschauerinnen und Zuschauer oder als mitlaufende Fußgruppe. Dabei wird gerade in den Kreisen der aktiven Karnevalisten immer wieder auf die integrative Kraft dieses Brauches abgehoben. Zum gemeinsamen Feiern sind alle eingeladen, egal welcher Herkunft, Religion, Staatszugehörigkeit oder sexueller Orientierung. Davon zeugen sowohl die weltweiten „Karnevals-Netzwerke“ als auch die (meist) problemlose Aufnahme von Akteuren mit Migrationshintergrund in die Gruppe der zentralen Karnevalsrepräsentanten, sowie Initiativen wie die „Rosa Funken“, die inzwischen zu einer festen Institution des Kölner Karnevals geworden sind.(10) Karneval gehört zu den Elementen an Ritualen und Bräuchen, die Heimat und regionale Identität ausdrücken und erlebbar machen. Als kulturelles Erbe der Region bereichert es den Alltag.

Anmerkungen

(1) www.unesco.de (20.01.2017), ebenso wie der rheinische Karneval wurde auch die schwäbisch-alemannische Fastnacht in das Verzeichnis aufgenommen.
(2) Mezger, Werner: Narrenidee und Fasnachtsbrauch. Studien zum Fortleben des Mittelalters in der europäischen Festkultur, Konstanz 1991.
(3) Döring, Alois: Rheinische Bräuche durch das Jahr, Köln 2006.
(4) Weyden, Ernst: Köln am Rhein vor fünfzig Jahren, Sittenbilder nebst historischen Andeutungen und sprachlichen Erklärungen (1862), unverändert wieder herausgegeben, Köln 1960, S. 137.
(5) Vgl. Frohn, Christina: Der organisierte Narr. Karneval in Aachen, Düsseldorf und Köln, Kromsdorf/Weimar 2000, S. 35.
(6) Ebd., S. 37.
(7) Leifeld, Marcus: Der Kölner Karneval in der Zeit des Nationalsozialismus. Vom regionalen Volksfest zum Propagandainstrument der NS-Volksgemeinschaft, Köln 2015.
(8) Lied von Karl Berbuer, 1948 in Köln komponiert. Das Lied avancierte in den ersten Jahren zu einer fast inoffiziellen Nationalhymne in Deutschland. (vgl. Urbach, Dirk, „Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien“, in: Praxis Geschichte 17, 2004/5, S. 26–30 / Probst, Gisela: Zur psychologischen Funktion des Karnevalsschlagers, in: Rheinischer Karneval, Rheinisches Jahrbuch für Volkskunde, 1978/23, S. 38.)
(9) Vgl. dazu die Zahlen aus dem Jahr 2007 im Bericht der Deutschen Welle: Priya Palsule-Desai: Wirtschaftsfaktor Karneval, unter: http://dw.com/p/9qoX (20.01.2017).
(10) Der Bonner Karneval geriet 2010 in die Kritik, weil der amtierende Prinz Amir I als Muslim nicht beim traditionellen Mundart-Gottesdienst im Bonner Münster reden durfte, vgl. www.fr-online.de (20.01.2017).

INFORMATION

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Abteilung Volkskunde
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